“Ugly” ist das neue schön: Nikita Diakur an der FMX 2018

28. April 2018

“Ugly” ist das neue schön: Nikita Diakur an der FMX 2018

28. April 2018

“Ugly” ist das neue schön: Nikit...

Internationales Trickfilmfestival Stuttgart

FMX

24.–29. April 2018

Eine Postkarte von Christian Gasser

 

Unter dem Motto “Wild and Young” stellten an der FMX junge Animationsfilmerinnen und -filmer ihre Arbeit und ihre Strategien vor. Die interessanteste Präsentation war “Ugly Aesthetics and Dynamic Animation” des heute in Mainz lebenden Russen Nikita Diakur, Autor des vielbeachteten und an vielen Festivals – darunter auch Fantoche – ausgezeichneten Kurzfilms “Ugly”. Erzählweise, Inspirationen, Vorbilder, Ästhetik, Technik, Finanzierung – kaum eine Frage blieb unbeantwortet. An dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung.

 

Nikita Diakur: “Ugly” (2017) ©nikitadiakur

Nikita Diakur

Die Anfänge von “Ugly” seien harzig gewesen, erzählte der 32jährige Diakur: “Nach dem Schulabschluss wollte ich unbedingt einen Film machen, um an Festivals eingeladen zu werden, doch zwei Jahre lang verwarf ich Idee um Idee; keine war perfekt genug.”

Verzweiflung und Internet

Das habe ihn zur Verzweiflung und ins Internet getrieben, wo er schliesslich seine Inspiration fand: Die Kurzgeschichte “Ugly the Cat” auf einer Website mit ermutigenden Lebensweisheiten, lustige Demos mit absichtlich schlechten CG-Animationen (https://www.youtube.com/watch?v=HV_DHv9UQzo), Google Deep Minds selbstlernende Animationssoftware (https://www.youtube.com/watch?v=gn4nRCC9TwQ) und Bilder von hässlichen Gebäuden, Autos und Klamotten …

 

Nikita Diakur: “Ugly” (2017) ©nikita diakur

Daraus wurde “Ugly”, die Geschichte einer potthässlichen, einäugigen, von allen verspotteten und gejagten Katze, die in einer sich in galoppierender Auflösung befindlichen Welt Freundschaft sucht. Sie findet sie bei einem Indianerhäuptling, der gerne auf dem Dach sitzt und den Sonnenaufgang mit Friedenspfeife und schamanischen Gesängen begrüsst …

 

Hässlich, schief und dysfunktional

Drei Fragen hätten ihn beim Entwerfen von “Ugly” geleitet, erklärte Diakur: “How do you create a character that surprises you? How would a kid create a character? How would you create a character with your left hand?”

Die Antwort auf diese Fragen liefert “Ugly”: In diesem dank Kickstarter finanzierten Film ist alles hässlich und schief, was hässlich und schief sein kann: Die pink- bis lilafarbene Stadtkulisse, die unförmigen Menschen und Tiere, die wie von unfähigen Puppenspielern geleitet herumhampeln, bizarr verformte und mutierte Dschungeltiere, und das alles ist ständig von allen möglichen und unmöglichen Glitches, Fehlern, Pannen bedroht: Nichts ist gewiss, jede Figur und Form kann jederzeit mutieren oder sich auflösen, und ständig schwirren unmotiviert geometrische Formen durch das Bild. Ausserdem – als würde dies nicht ausreichen – ist alles tief in esoterisch verbrämten Indianerkitsch getunkt. Schrecklich eigentlich, und doch genial.

Nikita Diakur: “Ugly” (2017) ©nikitadiakur

Der Computer als Puppenspieler

Dass man eine neue Technologie erst zu verstehen beginnt, wenn man sie zweckentfremdet, unterläuft und missbraucht, ist eine Binsenwahrheit. Im Fall der Computeranimation hat es nicht zuletzt David O’Reilly, den Diakur auch als Vorbild zitiert, vorgemacht – doch Diakur geht einen grossen und riskanten Schritt weiter, indem er den Computer weitgehend selber animieren lässt.

“Ugly” sei eine Mischung aus Puppenspiel und “dynamic computer simulation”: Diakur befestigte die Charaktere wie Marionetten an unsichtbaren Fäden und liess sie vom Computer bewegen. Dieses Vorgehen sei letztlich näher am Realfilm als am Animationsfilm – die Kontrolle sei weniger gross: “Man weiss nie, was geschehen wird, und das führt zu unerwarteten, verspielten, aber auch organischen und eigenwilligen Resultaten, auf die man als Regisseur wiederum reagieren muss.”

Mit anderen Worten: Der Computer animiert, der Animator schaut zu …

 

Nikita Diakur: “Ugly” (2017) ©nikitadiakur

Das Resultat ist jedenfalls einzigartig und “Ugly” einer der erfolgreichsten Kurzfilme der letzten Jahre. Das liegt indes nicht nur an der Technik und Ästhetik, sondern auch an der Geschichte und den Charakteren: Vordergründig abstossend und lustig ist “Ugly” in Wahrheit auch eine emotionale und berührende Geschichte. “Kitsch”, sagt Diakur dazu, “aber spirituell.”

Christian Gasser

Online-Release von “Ugly”: August 2018


Links:

http://ugly-film.com/

“Ugly”-Trailer

“Ugly Dynamics” (Kurze, aber gute Einführung in seine “dynamische Animation)

“Making Ugly” (ein älteres Referat)